Nur der Mond leuchtet den Wasserweg aus
Fritz Meichle und sein Sohn sind Berufsfischer am Bodensee
Es ist noch dunkle Nacht, als um fünf Uhr morgens zwei Männer das Gelände des Yachthafens in Immenstaad am Bodensee betreten. Die im Sommer tagsüber so lebhafte Touristenkleinstadt scheint wie ausgestorben. Fritz Meichle und sein Sohn Martin laufen, mit Kisten und Eimern bepackt, auf den Steg hinaus, zielstrebig zu einem der vielen Boote. Meichle ist einer von 130 Berufsfischern auf Deutschlands größtem Binnensee, der für seine hervorragende Fisch- und Wasserqualität berühmt ist. Die Fischer bringen die Kisten an Bord des etwa sieben Meter langen Bootes und werfen den Motor an. Viel Schutz vor Nässe bietet das Boot bei Regen nicht, lediglich der vordere Teil ist geschlossen, um bei höherem Seegang Wassereintritt am Bug zu vermeiden. Doch der Himmel ist klar, die Temperatur recht angenehm.
Ein Peilsender erleichtert die Netzsuche
In langsamer Fahrt wird das Hafenbecken durchquert, vorbei an großen Segelyachten und anderen Schiffen. Nur der Mond leuchtet den Wasserweg aus, auf dem es mit voller Fahrt zielstrebig auf die Mitte des Sees geht. Die Netze wurden am Vortag ausgelegt, ab fünf Uhr nachmittags ist das den Fischern erlaubt. Die meisten fischen auf dem See mit Treibnetzen. Diese sind abhängig von Wind und Strömungen und nicht immer da zu finden, wo sie ausgelegt wurden. Meichle hält eine Art Empfangsantenne in der Hand, sein 24 Jahre alter Sohn steht am Steuer. Das Steuerrad wirkt gegen den jungen, kräftigen Mann, der deutlich zwei Meter überragt, winzig.
Nach einigen Minuten Fahrt blinkt plötzlich ein paar hundert Meter weiter ein gelbes Licht auf dem schwarzen See. Im Scheinwerferlicht des Bootes ist beim Näherkommen eine rote Boje zu erkennen, auf der groß "Fritz Meichle" steht, ebenso der Peilsender an der Oberseite, mit dem die Suche nach dem Netz erheblich erleichtert wird. Vater und Sohn, beide mit Gummistiefeln und einem grünen, wasserfesten Zweiteiler bekleidet, sind also fündig geworden. Sie stellen den Motor ab, es wird ruhig. Nur das schwache Rauschen des Sees ist zu hören. Beide legen die Kisten zurecht und bauen die Halterung zum Aufwickeln der Netze am Bootsrand auf. Die Fischer fangen an, langsam das Netz aus dem Wasser zu ziehen. Das Deck ist mit einer Lampe erleuchtet, trotzdem bleibt es relativ dunkel. Mit geschickten Handgriffen holen sie die 30 bis 40 Zentimeter großen Fische aus dem feinmaschigen Netz und werfen den Fang in die Kisten. ,,70 Prozent von dem, was wir aus dem See holen, sind Felchen", sagt Meichle. Auch der heutige Fang besteht fast nur aus den blaugrauen Fischen, lediglich ein paar Forellen sind dabei. Ein weiterer beliebter Bodenseefisch ist der Kretzer. Die Fangtechnik unterscheidet sich von der des Felchens, da die Netze kleiner sind und das Fanggebiet näher am Ufer liegt.
Teilweise erkennt man in der langsam einsetzenden Morgendämmerung andere Fischerboote. Auch Kollegen aus der Schweiz haben ihre Netze hier ausgelegt. "Auf dem See haben alle das gleiche Recht. Auch wir fahren ab und zu zur Schweiz rüber", sagt Fritz Meichle. Nach einer dreiviertel Stunde ist das Netz geleert, aufgewickelt, und sechs Kisten sind mit Fisch gefüllt. Mittlerweile ist es hell geworden. Die Netze werden von den Fischern fein säuberlich aufgewickelt, kurz mit Seewasser ausgewaschen und dann für das erneute Auslegen am Nachmittag vorbereitet. Nur eines sortieren sie aus, zu groß sind die Löcher, um damit noch einen lohnenden Fang zu erzielen. Der Bodenseefisch ist sehr gefragt, das meiste geht an die Gastronomie und Großhändler in der Region. Für eine Kiste Felchen werden 100 Euro berechnet, für Kretzer noch mehr. Aber auch über den Hausverkauf im benachbarten Dorf Hagnau, in dem der Familienbetrieb Meichle ansässig ist, läßt sich das ein oder andere verkaufen. In sämtlichen Variationen gibt es Fisch; ob geräuchert, filetiert oder einfach ganz, alles ist gefragt.
Doch vorher wartet noch viel Arbeit auf die Fischer. Während sie langsam in Schlangenlinien Richtung Festland steuern, nehmen beide den Fang noch an Bord aus und legen ihn auf Eis. Mit jeder Stunde, die vergeht, ohne daß die Gedärme aus dem Fisch genommen werden, sinkt seine Qualität erheblich. Der Fischer, der auf über zwanzig Jahre Berufserfahrung zurückblicken kann, schwört auf Handarbeit. "Es gibt zwar Geräte, mit denen man sich die ganze Sache erleichtern kann, doch wir machen das lieber sofort und von Hand." Mit einem Messer schneiden sie den Fisch am Bauch auf, nehmen ihn aus und waschen ihn kurz mit Wasser durch. Für den Laien sicherlich etwas gewöhnungsbedürftig, für die Profis eben Berufsalltag.
Der gierige Möwenschwarm, der das Boot verfolgt, hofft auf ein paar Abfälle. Aber vergebens: Die Innereien gehen sofort in einen Eimer und müssen speziell entsorgt werden, denn der Bodensee gilt als einer der größten und besten Trinkwasserspeicher Europas. Deswegen gelten Gesetze, die die Wasserqualität in gutem Zustand halten sollen. Verstöße werden mit hohen Strafen geahndet, die schnell den Wert des Tagesfanges übersteigen. Fritz Meichle hat dazu eine eindeutige Meinung:
"Das ist schon in Ordnung mit den Strafen, in unserem eigenen Interesse. Denn nur eine gute Wasserqualität gibt viel und vor allem guten Fisch." Fangen darf er, unabhängig von Wind, Wetter und Seegang, fast das ganze Jahr über.
Schonzeiten sollen den Bestand schützen
Nur zwischen Oktober und Januar bleiben die Boote im Hafen und die Netze im Trockenen. In dieser Zeit darf nicht gefischt werden. Diese Schonzeit dient dazu, daß sich der Fischbestand erholen kann und nicht zu sehr belastet wird. Zuständig dafür ist zusätzlich die Fischbrutanstalt im 30 Kilometer entfernten Langenargen. Dort werden Jungfische herangezogen, um sie dann im See ihrem Schicksal zu überlassen.
Die Hafeneinfahrt von Immenstaad ist wieder erreicht. Die Arbeit auf dem See ist hart und gefährlich. Untiefen am Ufer und Stürme, die das Boot beschädigen können, stellen ebenso eine Gefahr dar wie die niedrige Wassertemperatur und Dunkelheit im Winter. An der Hafenmauer bringt Martin Meichle den Fang von Bord. Sein Vater manövriert das Boot zum Liegeplatz. Als der feste Boden wieder unter den Füßen zu spüren ist und die Sonne schon ein Stück über dem Horizont steht, ist etwas Leben in die Stadt gekommen. Jetzt, wenn andere zur Arbeit gehen, haben Fritz und Martin Meichle schon einen großen Teil ihres Arbeitstages hinter sich gebracht. Aber eben nur einen Teil. Die Fische warten nicht.
PHILLIPP RÖHRENBACH